Camino Fernwanderungen

Tag 9 – Selbst das Geld ist tropfnass

Von Vigo nach Arcade in 24,2 km

Ich liege in meinem Karbäuschen, habe zwei Stunden tiefer als tief geschlafen und bin nudelfertig. Noch nie war ich so lange – nämlich über vier Stunden – im strömenden Regen zu Fuss unterwegs. Am Anfang überwiegt die Hoffnung, dass es nur ein kurzes Wolkenleeren ist. Nach und nach schwindet diese Hoffnung und überraschende Effekte wie «Regenjacke klebt auf Haut» oder «erste Tropfen schleichen Richtung Arschbacken» setzen ein. Erst als die ultimative Übernahme des Wassers mit «Wasser läuft über nasse Beine direkt in die Schuhe» einsetzt, geb ich auf. Die Frage war nur, wie lange gebe ich auf?

Dabei fing alles ganz harmlos an. Wir verliessen unsere Herberge und staunten nicht schlecht, was wir alles nicht gesehen haben: Eine perfekte Terrasse, Waschmaschinen und Tumbler wie in einer Wäscherei. Draussen regnete es zwar, nicht stark, es war ok.

Wir verliessen Vigo und durften den Hügel hoch wandern. Zu diesem Zeitpunkt war das mit der Regenjacke noch so eine on/off-Sache. Regenjacke aus, Regenjacke an. Die Aussicht von hier oben ist schön, noch schöner wäre sie wohl bei klarem Himmel.

Die Welt war noch in Ordnung, der Weg führte meistens über Naturwege durch den Wald.

Irgendwann fanden wir einen trockenen Sitzplatz und zwar in einem Bushäuschen. Genau hier begann ein Erlebnis, das wir wohl nie mehr vergessen werden. Während wir nämlich noch friedlich so da sassen und uns etwas ausruhten, dachte sich wohl Petrus, dass er unsere Standhaftigkeit für den Camino Portugues prüfen sollte. Es begann so richtig heftig zu regnen. Hier ein Link auf ein Live-Video.

Während Pilger Peter vor mir her trabt und irgendwelches Zeug raus haut wie «Kommet her, hier in Spanien ist das Wetter schön und warm» oder «Ja, Santiago liegt im Westen von Spanien, dort wo es auch sehr oft regnet und es gehört zum Pilgern, dass man nass wird» oder noch besser «Pilgern im Regen ist einfach noch besseres Pilgern, wer hat den so was Saublödes gesagt?» ich übe ich mich darin, meinen Verstand auf die Hängematte zu schicken. Hätte ich ihm erlaubt zu denken, dann wäre ein Taxi eine echte Alternative gewesen. Aber irgend etwas war da in mir, dass einfach nicht aufgeben wollte. Ja, diese angesagte Tagestour wird durchgestanden, auch im grössten Regen meiner Zeiten. Überall fing das Wasser an die Bäche oder Wasserläufe zu übertreten und Pilgerinos Schifflecheros packten die Sache an.

Ungefähr nach 2/3 unserer Route war die offene Tür zu einem Café so verlockend, dass wir nicht mehr widerstehen konnten. Wir also hinein und aus Respekt nehmen wir den ersten Tisch gleich neben der Türe. An uns tropft das Wasser nur so herunter. Die nette Frau hinter der Theke verlangt nicht mal nach der Maske – sie sieht, was wir brauchen: warmen Kaffee.

Ich muss husch husch aufs Klo und werde innert Sekunden an Momente in meiner Jugendzeit erinnert. Ich bin in Heiden, Appenzell Ausserrhoden, aufgewachsen und dort gibt es ein schönes Freibad. Badenixe Claudia war immer so oft im Wasser, dass sie nur zwischendurch – eben husch husch – aufs Klo hüpfte. Jedes Mal wenn ich das machte, war mein Arsch natürlich nass und – schwup – rutsche ich auf dem Toilettenring ein paar Zentimeter. Ist ja auch logisch mit einem nassen Fudi. Genau das ist mir heute passiert. Schwup und ich hatte ein Flashback, das ungefähr 40 Jahre zurück liegt. Gaaaaanz grausam war es dann, die pitschnassen Hosen wieder hochzuziehen – eine GRAUSAMKEIT!

Peter checkte die Wetterapp und prophezeite eine Sturmpause. Nasse Regenjacke anziehen oder nicht? Oder doch den trockenen Windstopper? Ein Blick nach draussen beantwortete dies für uns – rein ins kühle Nass der durchtränkten Regenjacke.

Ich bin soooo stolz auf mich, dass ich bis hierher mitgemacht habe und wollte das heute einfach durchziehen. Auch wenn ich befürchte, dass meine Füsse dadurch leiden. Es muss einfach sein. In Arcade habe ich zwei Betten reserviert und ich freue mich so so so so so sehr auf das Ausziehen der klitschnassen Kleider, auf das Duschen unter warmem Wasser und das Anziehen von trockenen Kleidern.

Frisch geduscht, mit den Trocknern in den Schuhen, den nassen Kleidern in der Waschmaschine, Rucksack und Regenjacke zum Trocknen aufgehängt, falle ich innert Sekunden in einen tiefen Schlaf. Ich merke, wie ich tief falle und geniesse dieses Loslassen.

Ich freue mich auf den zNacht. Das Essen wird mir heute mit Sicherheit noch besser schmecken wie gestern. Ach ja. Nach 2 1/2 Stunden Schlaf und Blog schreiben, scheint übrigens die Sonne hier. Danke Petrus. Ich dich auch #loveforever. Zu deinen Ehren wählen wir heute ein Beitragsbild, wie es hier gewesen sein könnte.

Buen Camino.


1 thought on “Tag 9 – Selbst das Geld ist tropfnass”

  1. Liebe Claudia. Als ich auf dem Jakobsweg in Galicia ankam (allerdings vom camino frances her(S.Jean-pied-de-port). wunderte ich mich, wie grün das Land hier ist. Anderntags wusste ich auch wieso… Tja Bodenfruchtbarkeit hat halt seinen Preis. Und-falls es dich trösten sollte: die schönsten Erinnerungen hab ich an die Strecke, auf der es 2 Wochen ohne Unterbruch regnete (in F). Du schaffst es. Rolf

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