Fernwanderungen Via Francigena

Tag 27 – Nutella, Kastanien und Dschungel

Von Vetralla nach Sutri – 25,43 km

Wir waren nicht die einzigen Pilger in diesem kalten und nassen Vetralla. Es ist noch einer gekommen und hat das Zimmer nebenan für sich in Anspruch genommen. Mein kurzes Nickerchen war ganz nett. Um 19h00 wollten wir dann aufbrechen und eine Trattoria suchen. Dieses Vorhaben war mühsam, denn es regnete in Strömen. Anstelle unserer Regenjacken steckten wir in unseren “Mac in the Sac”. Schön warm, dafür nicht wasserdicht. Egal. Wir hüpfen von Baum zu Baum, von Unterstand zu Unterstand und gelangen so zur Empfehlung unserer Bekanntschaft vom Dorf – der Freund vom Apotheker *smile*.

Um 19h30 waren wir fast die ersten – ausser – unsere andere (nicht die plappernde) italienische Reisegruppe – sie waren auch wieder hier. Wir tauschen uns kurz aus und erfahren, dass sie eine Etappe mit dem Bus nehmen werden, weil der Papst am Sonntag eine Messe hält und zwei der vier unbedingt dabei sein wollen. Wir überlegen kurz – nein, wollen wir nicht. Wobei ….. hmmm ….. irgendwie ist es schon verlockend. Wir lassen es mal wirken.

Das Essen ist anders, denn hier ist die Spezialität FLEISCH vom offenen Holzkohlegrill. Lecker! Irgendwie mag ich nicht so essen. Ich bin müde, friere etwas und will ins Bett. Das kann ich dann auch etwas später und schlafe wie ein Murmeltier bis um 07h30. Der Pilger im Zimmer nebenan schnarcht immer noch friedlich vor sich her. Als wir kurz vor 8 Uhr die Herberge verlassen, macht er sich auch parat.

Viel wissen wir von der heutigen Etappe nicht – ausser – ich habe gutes Wetter bestellt, meinem Oberschenkel geht es wesentlich besser (schon fast gut) und das Höhenprofil ist “easy peacy”.

Den ersten Stopp müssen wir schon nach 2 gelaufenen Minuten machen – ohne Kaffee geht heute gar nichts. Die Sonne lacht uns mehr als nur an – sie will sagen, dass sie sich auf uns freut und wenn wir jetzt schon wüssten, was wir Stunden später wissen, dann hätten wir ein breites zufriedenes Lachen im Gesicht.

Der Weg führt am Anfang ganz kurz einer Strasse entlang und dann sind wir Stunden in der Natur. Zuerst realisieren wir, dass wir umgeben sind von Haselnüssen. Dort Haselnussbaum, hier Haselnussbaum, drüben auch Haselnussbaum. Kilometerweit. Riesige Plantagen mit Haselnussbäumen. Hier – meine lieben Leserinnen und Leser – ist wohl der Ursprung von Nutella. Muss so sein. Wahnsinn.

Irgendwo zwischen den Haselnussbäumen finden wir ein lauschiges Plätzchen für ein lauschiges Päuschen, essen eine halbe Banane und trinken Wasser. Über uns hängen vergessene Trauben – hingen ;-). Sie waren richtig erfrischend süss. Ungefähr 10 Minuten sassen wir da, als zwei Pilger kamen. Das eine war der Pilger von gestern, ein Italiener ungefähr 60 Jahre alt und mit ihm war ein zweiter, junger Pilger, ein Deutscher aus Konstanz. Der Typ ist von Lausanne aus gestartet und wird ebenfalls am Montag in Rom einlaufen. Wahnsinn.

Der Haselnuss-Wahnsinn wird so nach 15 Kilometern vom Kastanien-Wahnsinn abgelöst. Ich und meine Kastanien. Wer mich kennt, der weiss, dass ich eine leidenschaftliche Kastanien-Sammlerin bin. Wofür auch immer – ich kann daran nicht vorbei laufen. Erst wenn alle Taschen und Säcke voll sind, geht es weiter. Vielleicht liegt es daran, dass ich im keltischen Horoskop eine Kastanie bin – aber nachvollziehbar ist das nicht. An Esskastanien vorbeizulaufen ist noch viel härter für mich. Da liegen sie links, rechts, vorne, hinten – überall. Tausende von schönen grossen und ganz grossen Esskastanien. Wenn ich sie schon nicht mitnehmen kann, dann stehe ich wenigstens nicht drauf. Ein schier unmögliches Unterfangen. Vielleicht habe ich zwei, drei erwischt – aber mehr sicher nicht.

Ungefähr 5 Kilometer vor dem Ziel führt der Weg durch eine kleine Schlucht. Die Vegetation verändert sich schlagartig und plötzlich ist es wie im Dschungel. Überall Moos, Pilze, Farne, glitschiges Holz, viel Grün und feuchte Luft.

Die heutige Etappe war eine der schönsten. Sie hat uns quer durch die wunderbare Natur Italiens geführt, sie hat uns gezeigt, wie vielfältig sie ist. Es war wie mit einem richtig spannenden Buch. Man will immer noch mehr und noch mehr und bei uns waren es nicht Kapitel sondern Kurven. Was kommt danach? Was werden wir sehen? Was werden wir entdecken?Herrlich.

In Capranica hat uns eine alte italienische Oma zugerufen, dass sie uns viel Glück wünscht. Gestern habe ich zwei italienische Opas ein “Giorno” zugerufen, worauf sie erwiderten: “Ciao Bella!” Die Menschen hier sind freundlich, offen und zuvorkommend. Die Via Francigena ist ihre Reise wert. Seit 2 Stunden wissen wir nun, dass wir definitiv ganz regulär und ohne Wegabkürzungen in Rom einlaufen können. Am Montag ist dieser besondere Tag für uns. Noch 3 Mal schlafen. Noch 3 Etappen und dann sind wir dort. Irgendwie ist es noch surreal und irgendwie schleicht eine leise Aufregung hoch.

Jetzt sind wir in einem B&B in Sutri. Ein kleines Häusschen, in welchem der Eigentümer wohnt und ein Schlafzimmer vermietet. Ganz nett. Später geht es dann ins Städtchen – auch dieses liegt mal wieder auf hoch oben auf einem Hügel. Wir werden mit Sicherheit wieder fein essen, guten Wein dazu trinken und glücklich und zufrieden einschlafen.

Pfuuuused guet.


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