Fernwanderungen Via Francigena

Tag 23 – Reissverschluss auf und zu, Buff auf und ab

Von Aquapendente nach Bolsena – 22,6 km

Der gestrige Abend war mal wieder voller Überraschungen. Nachdem wir ausgeruht auf dem Weg zur Trattoria Toscana waren, realisierten wir, dass sie geschlossen ist. Peter war noch am Telefon, ich zeigte auf das alternative Ristorante rechts, er lief nach links und deutete auf eine Trattoria. Wir ergattern im obersten Stock zwei der vier letzten Plätze. Innert Minuten sind die beiden letzten Plätze neben uns (natürlich mit Abstand :-)) auch besetzt. Wir essen hervorragend (ich weiss, ich wiederhole mich, aber es ist so). Das Paar neben uns spricht uns plötzlich auf Schweizer Deutsch an. Im Nu verfliegt die Zeit und wir sind die letzten vier, die das Lokal verlassen. Während wir ein Faible für Fernwanderwege haben, sind sie die absoluten Tandem-Freaks. Hey, die haben sogar ein Tandem für vier. Wie cool ist das denn! Kaum fällt das Wort Tandem fragt Peter: „Habt Ihr ein dunkelblaues Tandem?“ Ganz erstaunt bestätigen die beiden. „Ja dann essen wir jetzt nicht nur am gleichen Tisch, wir schlafen sogar am gleichen Ort!“ Tatsächlich haben sie in diesem kleinen Albergo mit 5 Zimmern das Zimmer 2, wir das Zimmer 3. Solche Erlebnisse sind einfach typisch bei unseren Fernwanderungen.

Der Morgen war knüppelhart. Wer denkt, dass die Schweizer die Fleissigen sind, der war noch nie in Italien! Aber hallo. Kurz vor 6 fuhr der Müllwagen durch die Gassen und sammelte – genau – Abfall. Kurz danach, maximal 10 Minuten später, dröhnte das Strassenreinigungsdingsbums einmal hin und einmal her. Ich weiss nicht, wie sich das Teil nennt. Es ist nicht mal halb sieben und alles ist schon aufgeräumt und sauber – und wir – hellwach!

Die Wetterprognose-Apps haben uns gestern zwei verschiedene Varianten zur Verfügung gestellt: Einmal Sonne mit Wolken und einmal Regen. Wir bevorzugen die App mit dem besseren Wetter. Ganz genützt hat es dann doch nicht, denn der Himmel war bedeckt, die schwarze Regenwolken verfolgten uns und eine steife Biese zischte uns um die Nase. Die normale Jacke genügte nicht, der Windstopper musste auch her.

Die ersten 15 Kilometer sind sehr, sehr, sehr, sehr langweilig. Da kommt man auf so blöde Gedanken wie: Finde originelle Ideen, warum das riesengrosse Sonnenblumenfeld rechts von uns nicht geerntet wurde. Nach der siebten Idee von mir, crashte Peter das Ganze, indem er vorschlägt, dass wir eine Sonnenblumen-Feld-Taskforce gründen sollten. Uns ist klar, dass der langweilige Weg seinen Tribut fordert und laufen schweigend, aber innerlich grinsend, weiter. Lustig war es allemal.

Kurz vor San Lorenzo Nuovo werden wir von einem ganz gefährlichen Tiger angegriffen: eine supersüsse Katze, die sich – zack – auf den Rücken legt und gestreichelt werden will. Wir geniessen diese Sekunden und ich merke, dass mir unsere beiden Tiger fehlen.

San Lorenzo Nuovo ist das erste Dorf, das oberhalb des Bolsenasees’ liegt, d.h. wir werden den See endlich sichten. Eingangs Dorf sehen wir eine originelle Bar, die Pilger-Menüs anbietet. Frisch gestärkt mit 28 Euro weniger in der Tasche geht es nach dieser Pause weiter und das bei Sonnenschein! Wer hätte das gedacht. Einfach herrlich. Mit der Sonne wird der zweite Teil der Etappe eingeläutet und diese ist das pure Gegenteil: WUNDERSCHÖN!

Ein Wald, voller violetter Blumen (ich weiss nicht, wie sie heissen) verzaubert die Stimmung so, dass man von einem Feenwald reden könnte. Die Ruhe ist wieder da, das Gezwitscher der Vögel, das Rascheln der Blätter, wenn kleine Eidechsen fliehen. Kastanien, Baumnüsse, Feigen, Eicheln, Olivenbäume, Sonne, Wärme, kalter Wind – alles im Portpurri einer schönen Wanderung.

Leider geht es meinem Oberschenkel gar nicht gut. Der Sturz gestern hat nicht zur Genesung beigetragen, eher das Gegenteil ist der Fall. Jeder Schritt fällt mir schwer, besonders wenn ich Kraft für einen Aufstieg brauche. Da wir nicht in Zeitverzug sind bespreche ich die Idee mit Peter, dass wir in Bolsena einen Tag Pause einlegen: Schonung meines Beins. Er ist sofort einverstanden.

Die Gegend hier hat etwas vom Tessin. Wie ist es wohl, wenn es richtig schön warm ist, die Sonne auf dem Wasser glitzert und die Menschen fröhlich und frei dieses Städtchen geniessen? Ein Besuch irgendwann ist es auf jeden Fall wert.

Die Suche nach einer Unterkunft für heute Nacht haben wir gestern vor dem Abendessen angepackt. Erst kurz vor San Lorenzo Nuovo haben wir sowohl vom Albergo wie auch von der Herberge das ok für zwei Betten bekommen. Wir entscheiden uns für die Herberge.

Bolseno ist faszinierend. Das historische Zentrum ist wie immer “oben” und “steil”. Kleine Gässchen, steile Gässchen, eine Burg, eine Basilica und herrliche Palazzo’s.

Die Herberge ist sehr, sehr, sehr bescheiden – ABER – für uns alleine – UND – mit heissem Wasser. Langsam wird es in diesen steinernen alten Häusern so richtig kalt. Ohne Socken läuft man hier nicht mehr freiwillig herum. Ich sehne mich heute zum ersten Mal nach einem heissen Bad oder einen Besuch im Dampfbad. Der ganze Tag war geprägt mit Reissverschluss zu, weil es so kalt war, dann wurde es wieder warm, dann wieder kalt – auf, zu, auf, zu, auf, zu.

Ich werde mich nun im Schlafsack und der Wolldecke etwas wärmen, bevor wir dann eine Farmacia suchen, die uns etwas für meinen Oberschenkel geben wird.

Knuddelt eure Lieben, lebt euer Leben – schön, dass Ihr irgendwie bei unserer Reise dabei seid!

Claudia & Peter


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