Fernwanderungen Via Francigena

Tag 21 – Heisse Aussichten

Von San Quirico nach Abbadia San Lorenzo – 34 km

Der Abend in Quirico verläuft sehr gemütlich. Zuerst geniessen wir ein Glas Rotwein am Hauptplatz des Dorfes und bezahlen Preise wie in Zürich. Danach ging es zum Nachtessen. Wir haben eine Trattoria ausgewählt, die so klein und fein ausgesehen hat. Ha. So falsch kann man liegen.

Wir werden quer durch den kleinen Raum geführt, eine Treppe hoch, wieder durch einen Raum, eine Treppe runter und stehen in einem Garten. Zum Glück sind wir gut eingepackt, denn es ist um 19h00 schon dunkel und auch nicht mehr wirklich warm. ABER. Es ist so schön hier, dass wir es einfach nur geniessen. Auf die Espressi verzichten wir, wir sind zu müde. Ab ins Bett und morgen früh raus. Es warten viele, viele harte Kilometer.

Der Morgen hat es in sich. Lukas war vor uns wach, geweckt haben uns aber die schnatternden Italiener im Zimmer nebenan. Echt jetzt. Ich habe noch nie Männer gesehen, die so viel quasseln. Ohne Pausen. Mein linker Oberschenkel fühlt sich ganz gut an. Vielleicht laufe ich heute ja ganz ohne Schmerzen. Aber zurück zu Lukas. Da ich nicht offen mit Peter über meine Gedanken sprechen kann (weil Lukas ja noch im Zimmer ist), habe ich ihn per whatsapp die Frage gestellt: Wie zum Teufel kann man so lange haben, um einen Rucksack zu packen? Per Whatsapp deshalb, weil ich im Kajütenbett unten geschlafen habe und Peter oben. Peter hatte auf der oberen Etage eine wunderbare Aussicht auf das Geschehen mit Lukas. Er meldet zurück: Der Typ ist nicht sauber. Alle seine Sachen sind in einzelne transparente Säckchen eingepackt, die wieder in Säckchen eingepackt sind. Hmmm. Warum packt jemand alles in Plastiksäcke ein und diese wieder in Plastiksäcke? Ganz klar. Er erwartet Regen oder vermutet, irgendwann einen reissenden Fluss zu überqueren. Wir fragen ihn (leider) nicht und es wird wohl eines der best behütetsten Geheimnisse bleiben für diesen Tag.

Es ist tatsächlich so, dass ich praktisch ohne grosse Probleme laufen kann. Würden nicht rund 34 Kilometer auf uns warten, wäre jetzt ein wichtiger Grund für einen Prosecco. Die Wahl des Weges war gestern nicht so einfach, denn wir müssen auf Alternativen zurückgreifen. Auf der klassischen Pilgerstrecke ist alles ausgebucht. Peter’s alternative Route führt uns über Stock und Stein und vor allem, den Berg hoch und hoch und hoch. Zum Glück habe ich schon einige Kilometer in meinen Beinen, also schaffe ich das mit Bravour und ganz ohne Motzen. Wir erleben gleich zu Beginn ein paar Highlights, so zum Beispiel diese kleine Kirche in Val d’Orcia oder die alte römtische Therme in Bagno Vignoni.

Die Aufstiege sind zwar streng und drücken mir den Schweiss aus allen Poren, aber ich leide nicht. Genau bei einem solchen Moment, wenn du vor dir nur Sand und Steine auf dem Boden siehst, wenn du das Herz selbst in deinen Ohren pochen fühlst, wenn man am Rascheln am Wegesrand merkt, dass sich die Eidechsen in Windeseile verkriechen, genau dann, aber ganz genau in diesem Augenblick schickt dir ein Engel, ein Gott oder wer auch immer einen kühlen, sanften Wind – das ist paradiesisch. Die ganze Haut wird wie mit einem sanften Sprühnebel mit einer Frische überzogen, dass man schon wieder einen dieser perfekten kleinen Momente im Leben registriert hat.

Fast ganz oben angekommen, finden wir etwas, was es sonst nicht wirklich viel gibt: Ein Ristorante im Nirgendwo. Zuerst wollte man uns gar nicht bedienen, weil ja eben – Pilger. Aber dann hab ich einfach die Jacke ausgezogen und etwas mehr Haut gezeigt, bin zum Chef, hab ihn lieb angeblinselt und zack – wir hatten einen feinen zMittag.

Die Alternativroute bringt uns nach Abbadia San Lorenzo. Zur Sicherheit habe ich ein Zimmer gebucht. Nach einer solchen Tagestour hat niemand, schon gar nicht ich, Lust darauf, hilflos ein Zimmer zu suchen.

Mal sehen, was der Abend bringt. Ich auf jeden Fall freue mich jetzt auf viel Erholung und habe die Planung für den Tag morgen in beste Hände gegeben.

Buona notte.


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