Von Altopascio nach San Miniato, 28,93 km
Stell dir folgende Situation vor: Du läufst auf einem grasbewachsenen, schmalen Damm. Links von dir eine unendliche Weite in Grün, Häuser, Bäume, Strassen und weit entfernt Hügel in graue Wolken eingepackt. Rechts von dir eine Strasse, in kurzer Sichtweite ein Verkehrskreisel. Du läufst auf diesem schmalen, grünen Damm und denkst dir nichts dabei. Plötzlich ein richtiges Hupkonzert: «Thu thu thuthuthu, thu thu, thu thu thuthu». Du schaust runter und siehst, wie sich jemand fahrend vorne an die Frontscheibe drückt, die Faust ballt und «Forza», «Forza» ruft. So etwas, passiert dir nur hier in Italien.
Aber fangen wir von vorne an, bzw. mit gestern Abend. Die knapp 18 km gestern haben uns arg mitgenommen. Nur Asphalt ist irgendwie einfach zu viel für untrainierte Wohnzimmerfüsse. Da in Altopascio gar keine Herberge offen hatten, schliefen wir im besten Haus am Platz, einem ziemlich heruntergekommenen Albergo. Was soll’s – uns geht es auch auf diesem Bett gut, die Dusche ist warm und die Signora ist super nett. Wir beschliessen, das Abendessen gleich hier einzunehmen, im hauseigenen Ristorante. Der Saal strotzt wieder vor Gemütlichkeit und bis auf ein anderes Paar sitzen alles Arbeiter im Raum. Das ist ein gutes Zeichen, dann wird das Essen sicher lecker sein.
So ist es dann auch. Wie meistens nehme ich zur Vorspeise einen Insalata Caprese und bekomme auch diesen in einer Variante, die ich noch nicht hatte. Danach gibt es Pasta, für Peter ist die Pasta die Vorspeise und das Fleisch der Hauptgang. Der Rotwein dazu rundet alles ab und wir fallen gesättigt und hundemüde ins Koma.
Um 6 Uhr wachen wir auf – wir wollen früh starten, denn heute warten 30 km auf uns. Nach dem gestrigen Beindesaster sind wir gespannt, wie wir das heute hinbekommen. Der Start verläuft vielversprechend – es regnet in Strömen. Na ja, wenn wir auf 30 km kommen wollen, müssen wir los. Also Kaputze rauf und hopp. Nach rund 800 Meter zieht ein Sturm auf und es macht grad viel Sinn, die erste Pause einzulegen.
Unsere Wetterapps prophezeien verschiedene Wetterszenarien. Von `Dauerregen` bis ‘Es wird besser’ hin zu ‘Es wird noch schlimmer’ – die ganze Palette ist da. Nach ungefähr 15 Minuten klingt es so ab, dass wir den Marsch fortsetzen. Im Wettermenue haben wir “Es wird besser” bestellt und hoffen auf Erfüllung unserer Träume. Die Strecke führt uns super schnell auf Wege in Wäldern. Es ist einfach herrlich, so zu laufen. Die Regenwolken hängen uns am Nacken – aber wir machen auf Speedy Conzales. Die Strecke verwandelt sich immer mal wieder in kleine Seen und so haben wir unsere ganz persönliche eine 54-Seen-Wanderung.
Nach etwa 7 km brauchen wir einen wärmenden Kaffee. Meinen Füssen geht es herausragend, ich bin happy. Im Cafe sitzt ein weiteres Pilgerpärchen, das wir gestern schon gesehen und überholt haben. Sie uns auch wieder und so wird es wohl heute auch sein. Die beiden sind schweigsam und so lassen wir sie auch in Ruhe.
Frisch gestärkt packen wir die nächsten Kilometer an und werden wieder mit wunderschönen Wegen belohnt. In Ponte a Cappiano stolpern wir buchstäblich über ein kleines Cafe und gönnen uns eine kleine Pause. Wir haben Zeit, die Herberge an unserem Ziel öffnet erst um 16h00. Ein Pilger sitzt hier, ein Italiener. Er ist auch im September am grossen Sankt Bernhard gestartet, aber 11 Tage vor uns. Das sind genau diese Tage, die wir eben zu wenig haben. Kaum ist er gegangen, kommen die anderen beiden wieder und machen auch eine Pause. In diesem Dorf gibt es eine Herberge in dieser Brücke drin. Sicher ein ganz besonderer Ort.
Weiter geht’s auf einem grasgrünen breiten Damm. Wie aus dem Nichts beschert uns Peter einen dieser unvergesslichen Momente.
Gaaaanz weit hinten am Horizont sehen wir einen Hügel und auf diesem Hügel einen Turm. Das ist unser Tagesziel und es sieht gar nicht so weit entfernt aus. Davor liegt Fucecchio, etwas erhöht, und fordert unsere ersten Höhenmeter.
Dafür belohnen wir uns mit einer feinen Pasta und einem Prosecco. Warum auch immer – heute für die problemlosen Füsse. Wir sitzen noch nicht mal 5 Minuten, trifft das Pilgerpärchen auch wieder ein. Irgendwie haben wir den gleichen Essrhythmus. Keine weiteren 5 Minuten ein weiteres Pilgerpärchen, auch sehr jung. Sie würdigt uns keines Blickes, nimmt aber die andere junge Pilgerin sehr genau unter die Lupe. Die Herren der Pilgerherschaft sind da unkomplizierter. Ein «Salve» liegt immer drin. Wir kommen gar nicht aus dem Staunen heraus, trifft sogar noch ein viertes Pilgerpaar ein, etwas älter als wir. Franzosen. Die sind sehr gechillt drauf und nicht wie die anderen Pilger-Ladies im Werten und bewertet werden. Man grüsst sich, tauscht sich kurz aus und freut sich über andere Pilgerinnen und Pilger.
Wir sind der Meinung, dass das jetzt genug Pausen sind für heute und packen die letzten 10 km an. San Miniato überragt das Tal und da wollen wir rauf. Es tut gut, dass das Herz wieder richtig pumpen muss und die Lungen sich mit Frischluft füllen. Was für ein schönes Dorf überragt hier die Toskana. Hoffentlich ist es morgen etwas schön, dann werden wir die Aussichten geniessen können.
Die Herberge ist mit uns beiden und einer Pilgerin, die wir bisher noch nicht gesehen haben, schon voll. “Duweisstschonwasichmeine” sei Dank. Hier gibt es eine Waschmaschine. Diese Chance lassen wir uns nicht entgehen und schenken uns frisch gewaschene, blumig duftende Kleider. Auch so etwas lernt man einfach wieder zu schätzen.
Ich schreibe nun den Blog noch zu Ende, lade die Bilder und Videos hoch, dann lege ich mich etwas hin, bevor wir im Dorf eine Trattoria suchen.
Bis morgen, bleibt gesund und lebt euer Leben.