Fernwanderungen Via Francigena

Tag 6 – Thor mag mich. Definitiv.

Von Santhià nach Vericelli – mit der Bahn

Gestern Abend, nachdem mein persönlicher Podologe meine lädierten Füsschen mit ganz viel Liebe behandelt hatte, ging der rekordverdächtige Tag so zu Ende, wie wir es erwartet hatten. Ein wunderbares Essen mit wunderbarem Wein (Ja Silvia, zwei Gläser für jeden Fuss) halfen mir darüber hinweg, dass wir in einem rekordverdächtig hässlichen Saal zu Abend essen durften. Es erstaunt mich immer wieder, dass die Styling-Kings Europas so dermassen oft einen Raum mit einer unmöglichen Beleuchtung verhunzen. Schlussendlich war ich dann doch viel zu müde, um irgendetwas vertieft zu bemängeln.

Leider können wir heute unseren Marsch nach Vercelli nicht starten. Ein Gewitter zieht auf uns zu. «Es ist zu gefährlich mein Schatz”, sagt Peter. “Bei den Reisfeldern sind wir total ungeschützt und ein willkommenes Geschenk für jeden Blitz.»

Reisfelder? Hallo? Italien? Mein Kopf verstand nur Blitz aber das mit dem Reis war mir ein Rätsel. Leider war es nicht nur eine Gewitterfront sondern gleich deren zwei inklusive Hagel. Also schnappten wir den Zug und fuhren zum nächsten Tagesziel. 16 Minuten dauerte die Fahrt und waseliwas sehe ich da? Nur Reis, Reis, Reis, Reis. Tja, woher wohl, liebe Claudia, kommt dann der feine Risotto-Reis? Aus Asien? Nööööö. Er kommt aus Italien! Brava.

Kaum sind wir in der wunderschönen Stadt Vercelli angekommen (europäische Metropole für Reishandel, meint Wikipedia) strahlt die Sonne zwischen den Wolken hervor. Gleich neben dem Bahnhof steht die imposante “Basilica di Sant’Andrea”. So ein bisschen Katholike ist im Innern der imposanten Basilica bei Peter aufgeblitzt. Für seine und meine Füsse hat er für uns je eine Kerze angezündet. Danke min Schatz.

Es stört uns, dass wir heuten nicht laufen konnten. Security first gilt aber auch auf einem Pilgerweg. Zudem glaube ich, dass es Thor wirklich gibt. Und. Er mag mich. Dieses Gewitter war nur für mich, damit meinen Füssen eine Pause gegönnt war.

Nun denn. Wir suchen uns ein Ostello (Herberge) und finden das «Ostello Amici della Via Francigena di Vercelli». Eine der schönsten, die wir bisher erlebt haben. Die Auflagen für “duweisstwasichmeine” sind heftig: Fieber messen, seitenweise Blätter ausfüllen, maximale Zimmerbelegung, kein Benutzen der Küche, uvm. Ich erlebe hier komplett unerwartet einen “magic moment”, einen der friedlichsten Momente meines Lebens. Echt wahr. 

Ich packe meine Kleider, die ich noch waschen will. Im grossen Innenhof stehen zwei mächtige Bäume. Es ist still. Ich höre den Wind und einen Uhu (oder ein Vogel, der so «huhu» «huhu» macht). Vor mir ein weisses Waschbecken mit zwei Vertiefungen, einer Ablage und einem hellblauen Waschbecken. Alles, was ich mache, erzeugt weiche, warme, schöne Geräusche. Der Waschtrog ist aus einer Art Porzellan und sehr angenehm anzufassen. Irgendwie wie harte Seide. Das Waschbecken aus Kunststoff löst einen weichen einladenden Ton aus, als ich es in die Vertiefung stelle. Das Plätschern des Wassers und das von Hand waschen der Wäsche schaffen eine Art von Konzert, das ich so noch nie wahrgenommen habe. Für einen Moment steht die Welt still für mich. Alles ist genau in diesem Moment perfekt. Ohne Wenn und Aber. Ein Moment für die Ewigkeit.

Stille ist eines der Elemente, die einen solchen Weg ausmacht. Stundenlang laufen Peter und ich hintereinander oder nebeneinander, ohne ein Wort zu sagen. Bereits am 3. Tag ist mir aufgefallen, wie laut Städte sind oder die Autobahn oder die Hunde. Ich merke bewusst, dass mich Lärm nervt. Die Wege in den Wäldern oder über Felder, wenn ich nichts mehr höre ausser unseren Schritten, den Wind und die Vögel – diese Wege bedeuten mir, bedeuten uns, so viel.

Damit wir uns heute doch noch bewegen, werden wir jetzt die Stadt noch erkunden und uns ein Eis gönnen.

Ciao a tutti.


1 thought on “Tag 6 – Thor mag mich. Definitiv.”

  1. Liebe Claudia
    Deine Berichte sind wieder der Hammer.
    Das Lesen macht Spass und entlockt mir des öfteren ein Lacher. Aber auch hie und da ein Stirnrunzler wo ich mich frage was dieser Supermann an deiner Seite alles weiss und kann. Fusspfleger, Tröster, Reisfelderkenner, ect. Liebe grüsse aus Sardinien. Lilian

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