Fernwanderungen Via Francigena

Tag 4 – Noch «schnell, schnell» wird zum Verhängnis

Von Verrès nach Ivrea – 19,85 km zu Fuss, der Rest mit dem Bus

Das Aostatal möchte ich heute gerne hinter uns bringen. Unsere Planung sieht vor – ich betone – s i e h t  v o r – dass wir praktisch nur auf flachen, ebenerdigen Wegen, ohne Rauf und Runters marschieren. Ich ziehe meine Zweitschuhe heute an. Anderes Modell, mehr Platz für die Zehen. Kann ja nicht schaden.

Es geht nicht lange, und das schönste Wetter strahlt uns mitten ins Gesicht. Selbst Tor hat seine Freude und will uns irgendwo hinlocken. Dass ich als Frau Tor nicht widerstehen kann, verstehet man, oder? – ausser meinem Mann. Er behauptet den ganzen Weg, Tor schreibe man mit H. Er wird Recht behalten und ich träume weiter. Mir doch egal, wie man Tor schreibt. Ich brauche Ablenkung und da helfen selbst solche Banalitäten.

Heute ist das Zahlen zählen oder der Wegrand mit seinen Schönheiten kein Thema. Ich probiere das mit dem Tipp von Martin aus – Marschmusik. Keine Ahnung, was ich da geträllert habe, es hat zumindest bei Peter ein Lächeln ins Gesicht gezaubert.

In Hône hat uns eine sehr nette Frau in einem kleinen Lebensmittelgeschäft «THE SANDWICH» gemacht. Was für ein Käse. Was für ein Schinken!

Gleich neben Hône liegt Bard. Bard hält wohl den Rekord der steilsten Strasse ever. Selbst bei Regen wird es hier schwierig, rauf zu kommen. Na ja, wir mussten ja nur runter, zu Fuss. Darüber lachen Pilger wie wir nur noch (Ha. Ha. Ha.).

In Donnas, ein Dorf weiter, wurde klar, was die vielen Pfeile mit TOR bedeuten. Es ging weder um Thor noch um Chris Hemsworth. Das ist zwar schade (gäll Petra). Sehr sogar. ABER. Das, was uns die Geschichte hier liefert, ist der Wahnsinn.

Ein 200 Meter langes Fragment einer alten Römerstrasse mit Tor. Selbst die Wagenspuren sind noch sichtbar. Ehrfürchtig gehe ich über diesen geschichtsträchtigen Weg und ertappe mich dabei, dass ich ein Kreuz schlage. Aber Hallo. Was war denn das jetzt? Egal. Es hat mich sehr berührt. Dieses wunderbare Städtchen hat wohl viel zu bieten, wenn es denn nicht erst 10 Uhr morgens wäre. Unser Pilgerführer sieht vor, dass die heutige Etappe ein Dorf weiter in Pont-Saint-Martin endet. Das ist keine Option für uns. Das sind ja nur knapp 14 km. Wir laufen weiter.

Mein rechter Fuss meldet sich. Es ist die Zehe, welche ich knapp eine Woche vor der Abreise noch heftig am Stuhlbein beim «schnell schnell sein» angestossen habe. Mein gewählter Zweitschuh schützt ihn zu wenig, ich muss die Schuhe wechseln. Und das ist das rasante Ende unseres heutigen Weges.

Mein Wanderschuh ist etwas enger – für mich perfekt. Aber meine kleine Zehe hatte null Komma null Bock darauf. Das war kein «oh es tut etwas weh». Das war bei jedem Schritt eine Tortur. Meine mentale Stärke hat definitiv Löcher. Ich bemerke, dass ich in Selbstmitleid falle – tief falle. Plötzlich bin ich die Ärmste auf der Welt und Peter zieht vorne weg. Ja, ja. Geh nur. Mich mag ja eh niemand und alles muss ich wieder alleine schaffen. Lauf doch einfach weg. Alle haben sie mich verlassen, jetzt doch auch noch du. Bevor mein Affenzirkus im Kopf Schaden anrichtet, erkenne ich dieses Gedankenelend und beende es mit einer grossen Portion Gedankenhygiene. Es geht keine 2 Minuten, Peter wird langsamer, bleibt stehen und sagt: «Schau, da vorne ist die Haltestelle. In 5 Minuten kommt der Bus. Wir haben noch 900 km vor uns, der Fuss muss nicht ruiniert sein.» Tja. Ihr blöden, dummen, elendiglichen, kleingeistigen Gedanken in meinem Kopf. Verpisst euch. Da soll kein Platz mehr sein für euch. Halleluja. (Ist das jetzt eine dieser Erleuchtungen?)

Wir fahren mit dem Bus nach Ivrea und wollen uns in der Kathedrale den Stempel holen.

Die Kathedrale in Ivrea ist traumhaft schön.

Nix da mit Stempel. Ganz nach italienischer Manier ist jetzt Siesta und wir könnten morgen wiederkommen. Da werden wir wohl schon mehr vom Piemont entdeckt haben. Ivrea ist eine wunderschöne Stadt, direkt am Fluss. Genau dort finden wir unsere erste echte Pilgerherberge. So eine mit diesen Hochbetten. Das hat uns bisher gefehlt.

Jetzt heisst es, meine kleine Zehe ausruhen lassen, lesen, schreiben, schlafen und später wieder in eines dieser bezaubernden italienischen Restaurants gehen, um einmal mehr die weltbeste Pasta zu geniessen.

Was für ein Tag!


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