Von Champagne nach Verrès – 28,1 km
Bevor ich zur Geschichte mit dem Elevator Pitch kommen kann, haben wir schon ein paar Kilometer hinter uns gebracht. Unsere Sachen, die wir gestern Abend unter der Dusche gewaschen und im Zimmer verstreut aufgehängt haben, sind alle trocken. Ich schätze jetzt schon wieder unsere Waschmaschine daheim.
Meinen Oberschenkeln geht es erstaunlich gut – auch Peter ist frohen Mutes – noch. Damit wir unsere Muskeln nicht zu sehr crashen, erlauben wir uns, Varianten des Weges zu gehen, die nicht so viele Höhenmeter für unsere malträtierten Beine bedeuten. Schliesslich wollen wir ja irgendwann in Rom ankommen.
Damit ich nicht wieder ins ewige Zählen komme, fokussiere ich mich heute auf «Schönheiten am Wegesrand». Tja. Kaum ist Peter in diese Idee involviert, steht er schon in Pose. Da kommt mir grad ein Post von Günther Woerner in den Sinn: «Wenn es nicht mehr geht, herzhaft fluchen oder sich in den Arm nehmen.» Ich wähle dieses Mal herzhaft lachen, das tut auch sehr gut.
Die Zeit vergeht wie im Fluge dank der tausend Dinge, die am Wegesrand auf meine Aufmerksamkeit hoffen. Damit wir unsere Pilgerreise in Rom bestätigen können, brauchen wir im Pilgerpass Stempel. Das ist auf der Via Francigena gar nicht so einfach. Wir suchen in Châtillon zuerst in der Kirche auf dem Berg (Mist, meine Beine brennen schon wieder) und werden dann von einer äusserst freundlichen Nonna hinunter zur Kapuziner-Kirche verwiesen. Da ist alles CHIUSO. Ohne Stempel gehen wir aber nicht. Eine süsse Brioche hilft denken und – zack – Peter sieht die Klingel und -zack – kommt der Padre, ein Kapuziner, und freut sich sehr über das Pilgerpaar.
Wer jetzt denkt, dass das ganze 10 Sekunden dauert- der irrt. Also erstens hat er gemerkt, dass wir den Pilgerpass nicht sauber ausgefüllt haben. Hinsetzen, schreiben, ergänzen. Dann sieht er, dass wir in St.Gallen wohnen und irgendwie scheint er die Stadt zu kennen. Wir wollten schon aufstehen, als diese eine Frage kam: Was macht Ihr beruflich?
Tja. Jetzt sind wir beim Elevator Pitch – in 60 Sekunden einem Kapuziner in einer Sprache, die wir wirklich NICHT beherrschen (ok, wir können Bier und Pasta bestellen, Danke und Bitte sagen) erklären, was wir beruflich tun! Er merkt unsere Unbeholfenheit und weicht auf Französisch aus. Shit. Nicht viel besser. Einfach zu lange her. Am Ende wird es ein Mix aus Französich (na ja), Italienisch (auch na jaja) und Englisch (halleluja). Wir merken, dass wir es gar nicht erklären können, was wir tun. Englisch wäre perfekt gewesen, das kann aber er nicht wirklich gut. Einer meiner Kunden, er ist Holländer, hat mir mal gesagt, wenn du einmal Ausländer warst, kannst du alles sehr einfach erklären. DAS wäre dann eben der Franziskaner Pitch. Ich nehme es mir zu Herzen.
Wir helfen uns mit Händen und Füssen bis er sagt, ob wir ein Wunderrezept gefunden haben, um Veränderungen bei Menschen zu schaffen. Wir sind erleichtert. Wir tauschen uns über unsere Idee und seine Erfahrung aus. Ein wirklich spannendes, herzliches Gespräch, das wir wohl lange in Erinnerung behalten werden.
Ich bin froh, dass Peter immer wieder Varianten des Weges sucht, die uns nicht 1’000 Meter in die Höhe jagen und wieder runter. Die kurzen Strecken hinter uns waren für unsere Oberschenkel schon heftig genug. Ein einziges Mal – nur so als Beweis – beschwichtigt mich Peter: «Nur ein wenig hoch, schau, hier auf der Karte, dort um die Kurve und schon wird es wieder flach». Tja, es waren dann genau 1’066 Schritte steil aufwärts. Jetzt kommt noch einmal Günther Woerner ins Spiel – dieses Mal hilf die Umarmung.
Der Preis dafür kam danach in Saint-Vincent. Ein wunderbares Städtchen, herrliche Pflastersteine, schöne Läden und ein feiner Kaffee. Mich wundert’s, dass wir in Italien einen Euro bezahlen für den Espresso und er ist herrlich. In der Schweiz zahle ich CHF 4.50 und er ist «igittegitt».
Im selben Kaffee ist mir eine alte Dame aufgefallen – eine Glitzertussi wie ich und Peter hat nur gemeint: «Ja, ich habe es gesehen, auch mit über 80 kann man noch solche Schuhe tragen».
In Montjovent verwöhnten wir uns mit einer herrlichen Pasta – wo wir bei der Frage sind: Warum können die Italiener so viel essen? Dieser Haufen wäre nur die Vorspeise gewesen – uns hat es mehr als nur gereicht und es war soooooooo lecker.
Die Schönheiten am Wegesrand haben dann in einen Abschluss mit Seltenheitscharakter gegipfelt. Kurz vor unserem Ziel Verrès stand dieses schöne Pferd. Auf dem Bild sieht man es nicht so gut – aber – die Augenfarbe ist verschieden.
Wir sind jetzt da, wo Peter sein wollte – damit wir am 24. Oktober in Rom ankommen. Kleine Anekdote am Rand. Die 2’000 Höhenmeter vom Grossen Sankt Bernhard nach Aosta haben sich in unseren Oberschenkeln festgebissen. Peter meinte heute nur so nebenbei: Vielleicht hätten wir besser den Bus genommen (ich lache müde, sanft und liebevoll).
Gute Nacht.