Ich kann vor solchen Abenteuern einfach nicht gut schlafen. Es könnte ja sein, dass ich den Wecker nicht höre. Um 05h10 heisst es duschen, anziehen, die allerletzten Dinge einpacken, alle drei Jungs für ein paar Wochen das letzte Mal knuddeln und ab auf den Bus.
Der Zug von Zürich nach Lausanne ist ziemlich leer, selbst nach Zürich. Wir haben etwas Zeit, unsere Köpfe auf die Rücksäcke zu legen und ein Nickerchen zu machen. Von Lausanne geht es per Bahn nach Martigny, von Martigny wieder per Bahn nach Sembrancher und noch einmal umsteigen nach Orsières.
Die offene Frontklappe des Postautos lässt nichts Gutes verheissen. Das Wetter wird immer schlechter. Ich beschwöre alle Götter die ich kenne (ok, ich kenne nur Thor – hahaha) und bitte um ein Wunder. Schliesslich war ich viele Jahre lang eine treue Kirchengängerin, habe Kirchenorgel gespielt war im Orchester mit der Querflöte aktiv und war ein Teil des Kirchenchors.
Wahrscheinlich ist die Mitgliedschaft abgelaufen, denn wir kommen bei 6° Celsius an, sehen knapp 10 Meter weit und es regnet. Inzwischen ist es 13h00. Peter’s Plan sieht vor, dass wir nach Aosta laufen. Aha. Einfach so mal husch 29 km und 2’000 Höhenmeter überwinden. Check – läuft.
Unsere letzte Mahlzeit war ein kleines Sandwich am Bahnhof Orsières. Der Brennwert war minimal. Ou shit! Daheim liegt noch der Proviant, nur die Wasserflasche ist dabei. Na ja, ich habe ja genug Lockdown-Reserven, wird schon schief gehen.
Es dauert ungefähr 3 Stunden, bis wir merken, das mit Aosta können wir knicken. Das schaffen wir nie. Es ist ganz einfach viel zu viel. Der leichte Regen ist es ein Segen. Der Weg ist wahnsinnig schön und ich male mir aus, was man hinter den Wolken so sehen könnte. Ein bisschen Werbung machte Thor dann schon noch und lüftete die Nebelschwaden. Zudem schenkte er uns einen der wunderbarsten Wege, den wir bisher gelaufen sind. Tausende von Metern in Wäldern, absolute Stille bis auf das Wasser am Wegrand. Kilometerlange Wasserkanäle, ganz still und ganz laut, je nach Gefälle.
Der Hunger macht uns zu schaffen. Mir wird schon etwas schwindlig. Wie aus dem Nichts taucht ein Apfelbaum am Wegesrand auf und ich erlaube mir, einen Apfel zu “stibizen”. Peter setzt sich hin und meint: So fertig, beim nächsten Dorf machen wir Rast.60 Minuten später sind das Dorf Gignod und Erica mit ihrer hübschen, kleinen Pension «Chez Magan» unsere Rettung. Ich bin komplett erschöpft, will einfach nur noch aufs Bett liegen und sie erzählt uns tausend unwichtige Dinge über das Frühstück. Meine Geduld steckt in ihren Reserven und als dann Peter auch noch anfängt, im Zimmer alles fein säuberlich aufzuhängen, damit es trocknen kann, weiss ich, dass ich nochmals 120 Sekunden funktionieren muss.
Keine Ahnung, womit mich meine Beine zur Dusche schleppen – die 24 km hatten es in sich. Warmes Wasser aus einer Brause nach einem solchen Tag – ein Traum.
Drei Fehlplanung fielen uns fast zum Verhängnis:
a) wir hatten kein Essen dabei
b) es war Sonntag und alles war geschlossen
c) die Ankunft war so spät, dass wir nicht ausruhen konnten
Nix war mit “auf dem Bett liegen und chillen”. Uns war schlecht vor Hunger Ein feines italienisches Restaurant rettet uns mit einer grossen Coca-Cola und einem Teller Spaghetti all’amatriciana. Unsere Körper vertragen nicht mal die Hälfte des Essens. Knapp 20 Minuten später fallen wir in einen Tiefschlaf, der einmal mehr unsere Beine heilt. Danke lieber Körper. Du bist ein Wunderwerk.