Gestern sind wir in Lugo angekommen, die älteste Stadt Galiciens. Läuft man auf die Stadt zu, fällt es einem schwer, irgend etwas daran schön zu finden. Doch das Geheimnis liegt im innersten Kreis von Lugo. Es ist eine über 2’000 Jahre alte Römerstadt mit der einzigen noch vollumfänglich bestehenden Stadtmauer. Dieser Teil von Lugo ist mystisch, faszinierend und wunderschön.
Von jetzt an ist es wichtig, dass wir in unserem Pilgerpass immer 2 Stempel pro Tag haben. Ansonsten können wir in Santiago die Compostela (Urkunde für die erfolgreiche Beendigung der Pilgerreise) nicht bekommen. Aus diesem Grund mussten wir uns einen zweiten Stempel besorgen. Was liegt also näher, als die Messe zu besuchen und uns dort in der Kathedrale den zweiten Stempel zu holen. Gedacht getan und schon sitzen wir inmitten spanischer Frauen und Männer in einer Messe. Auch du heiliger Bimmbamm.
Ich verstehe noch viel weniger als sonst schon und habe keinen Schimmer, was da gerade abläuft. Früher war ich eine extreme Kirchgängerin – im Schnitt ging ich 3 x die Woche, spielte selber Kirchenorgel, war im grossen Orchester und auch im Chor. Vor ungefähr 15 Jahren bin ich ausgetreten. Die Messe berührt mich, das Orgelspiel ist sanft und eindringlich, der Gesang des Pfarrers einfach schön. Peter wäre nicht mein Mann, wenn er nicht schnurstracks nach der Messe den Pfarrer «verfolgt» hätte. Der Gottesdiener himself hat unseren Pilgerpass gestempelt. Ein sehr sympathischer Mann mit einer Engelsstimme.
Die Hostie hat uns nicht genug genährt, also musste noch etwas Deftiges her. Der Koch hat wohl gedacht, wir seine am Verhungern und hat uns ein riesengrosses T-Bone auf den Teller gezaubert. Wir waren also parat für den neuen Tag.
Der heutige Marsch begann – falsch – eben nicht aufwärts – es ging mal abwärts. Nicht lange. Das war heute aber komplett egal, denn es galt, knapp 30 km hinzulegen. Die Höhenmeter-Meisterschaften haben wir hinter uns und so können wir auf Tempo machen. Das ist auch bitter nötig, denn es ist immer noch sehr kalt. Wir sind einfach nicht für 8 Grad Celsius ausgerüstet. Da hilft es auch nichts, wenn man alle BHs und alle T-Shirts übereinander anzieht. Kalt bleibt kalt.
In dieser frischen Sommerbiese im Nebel unter der Wolkendecke bleibt einem viel Zeit über den Sinn einer solchen Wanderung – Pilgerreise – nachzudenken. Ich verstehe immer noch nicht, warum man eine solche Anstrengung auf sich nimmt und dies mit dem Glauben verbindet. Ok, ich spüre echt jeden Knochen, jeden Muskel und jede Sehne in meinen Füssen. Und ja, es schmerzt. Also redet mein Körper mit mir und sagt mir: «Hallo, wie wäre es mit einer Pause?» Was denkt in einem solchen Moment ein echter Pilger?
Aus heutiger Sicht ist diese Pilgerreise für mich ein riesengrosses Geschenk, denn ich war bis jetzt 10 Tage am Stück nonstop mindestens 6 Stunden unterwegs im Freien an der frischen Luft. Ich habe wunderbare neue Düfte kennenlernen dürfen. Ich habe wunderbare neue Landschaften sehen dürfen. Ich habe wieder den Wert einer warmen Dusche erkennen dürfen. Ich habe mich nie geschminkt, trage stets dieselben beiden Hosen oder T-Shirts, freue mich über die Einfachheit des Essens und der Herberge. Ich bin aus dem Sog des Überflusses raus und befinde mich in einer stillen, bescheidenen Welt. Ist das mit der Pilgererfahrung gemeint? Bedeutet Einfachheit, Gott nahe zu sein?
Am Sonntag werden wir in Santiago de Compostela ankommen. Morgen ist wieder «Wischiwaschi-Wetter» angesagt. Etwas von allem. Ich werde also noch drei Tage unterwegs sein und dann schon am Ziel. Schade. Ich wäre gerne noch länger unterwegs, um dem Zauber der «Erleuchtung» auf die Spur zu kommen. Bis jetzt bin ich einfach mir noch näher gekommen – ist das wohl damit gemeint?
Buen camino.